Hessentrojaner: Offener Brief an die Landtagsfraktion von B90/Die Grünen

Obwohl die Parteibasis der hessischen Grünen den Einsatz eines Staatstrojaners in der Ende 2017 erstmals vorgelegten Verfassungsschutzgesetzesnovelle auf ihrem Landesparteitrag (knapp) mehrheitlich abgelehnt hatte, ist das Vorhaben inzwischen Gesetz, denn die grüne Landtagsfraktion hat sich eiskalt über den Beschluss der Parteibasis hinweggesetzt.

Ich persönlich hatte dieses Verhalten im Rahmen meiner Landtagswahl-Direktkandidatur zum Anlass genommen, eine konsequente Streichung des \“Bündnis 90\“ aus der Parteibezeichnung anzuregen: Hier wird staatlicher Durchleuchtung Vortrieb und nicht mehr Widerstand geleistet – wie zu Zeiten der DDR.

Ungeachtet dessen sind die Grünen mit – aus meiner Sicht überraschend – großem Erfolg wiedergewählt worden und werden nun mit höchster Wahrscheinlichkeit erneut weitere 5 Jahre die hessische Landespolitik mitgestalten.

Die Piratenpartei Hessen nimmt dies zum Anlass, im Rahmen des folgenden Offenen Briefes gemeinsam mit 14 weiteren Organisationen und etlichen Einzelpersonen anlässlich der anstehenden Koalitionsverhandlungen erneut an B90/Die Grünen zu appellieren, die vorgenommenen Gesetzesänderungen anzupassen bzw. zurückzunehmen – ggf. auch im Vorgriff der Tatsache, dass die Piratenpartei Hessen in dieser Angelegenheit Verfassungsbeschwerde erheben wird:

 

18.11.2018

Offener Brief

An die Landtagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen in Hessen

Sehr geehrte Damen und Herren Landtagsabgeordnete,

das Wahlergebnis spricht dafür, dass Sie und Ihre Fraktion mit großer Wahrscheinlichkeit der nächsten hessischen Landesregierung angehören werden. Wir möchten daher – gestützt auf die bürgerrechtlichen Positionen, die Ihre Partei von Beginn an mitgeprägt haben – an Sie appellieren,  den Schutz der Bürger*innenrechte auch in Hessen wieder in den Fokus Ihrer Landespolitik zu nehmen.

In der vergangenen Wahlperiode haben Sie – gemeinsam mit der hessischen CDU – diverse Veränderungen an hessischen Landesgesetzen beschlossen, die Polizei und Verfassungsschutz deutlich erweiterte Befugnisse einräumen und damit zugleich massiv in Grundrechte der Bürger*innen unseres Landes eingreifen. Beispielhaft möchten wir drei Punkte benennen:

  1. Den sogenannten Hessentrojaner, der es der hessischen Polizei erlaubt, unbemerkt Smartphones, Computer oder andere mit dem Internet verbundene Geräte zu kontrollieren; Die Installation soll über Sicherheitslücken geschehen, die dann auch für Kriminelle offen stehen.
  2. die Erweiterung der Befugnisse des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) bei der Überprüfung von Personen und Projekten, die der Abwehr von Islamismus, Rechtsradikalismus und anderen demokratieverachtenden Bestrebungen dienen und durch Mittel des Landes Hessen gefördert werden;
  3. unzureichende Rechte des Parlamentarischen Kontrollgremiums auch in Hinsicht auf Oppositionsrechte und den Schutz von Whistleblower*innen.

In anderen Bundesländern, in denen die jeweiligen Landesregierungen Verschärfungen der Polizei- und/oder Geheimdienstgesetze planen (Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen) oder bereits beschlossen haben (Bayern) sind die Landtagsfraktionen von Bündnis 90 / Die Grünen Teil der Bürgerrechtsbewegung, die sich – teilweise in Massenprotesten (Demonstrationen in München, Düsseldorf und Hannover) – gegen den Abbau von Grundrechten zur Wehr setzen. In Bayern hat die Landtagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen gar eine eigene Verfassungsbeschwerde gegen die Verschärfungen im dortigen Polizeiaufgabengesetz auf den Weg gebracht.

Wir bitten Sie, die in der vergangenen Legislaturperiode beschlossenen Verschärfungen zu Lasten der Bürger*innenrechte im Hessischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz und im Hessischen Verfassungsschutzgesetz einer Überprüfung hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit mit Demokratie und Grundrechten zu unterziehen und verweisen dabei auf die zahlreichen eingereichten Stellungnahmen. Sollten die Maßnahmen sich darin als untauglich oder demokratiefeindlich erweisen, bitten wir Sie, die Verschärfungen vollständig rückgängig zu machen!

Zugleich regen wir an, dass Sie die Initiative dafür ergreifen, das Hessische Informationsfreiheitsgesetz in der kommenden Legislaturperiode zu einem Transparenzgesetz nach Hamburger Vorbild weiter zu entwickeln.

Bei Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

  • Attac Regionalgruppe Rüsselsheim und Umgebung
  • Bündnis „Demokratie statt Überwachung“  Darmstadt
  • Bündnis gegen Berufsverbote Hessen
  • Chaos Computer Club Darmstadt, stellvertretend für das Bündnis hessentrojaner.de der Hessischen Erfahrungsaustauschkreise und Chaostreffs des CCC
  • Chaos Computer Club Frankfurt
  • dieDatenschützer Rhein Main
  • Digitalcourage e. V.
  • Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V.
  • Humanistische Union Hessen
  • Humanistische Union Marburg
  • Internationale Liga für Menschenrechte e.V.
  • Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
  • Marburger Initiative gegen den Überwachungsstaat (MIgÜSt)
  • Piratenpartei Deutschland, Landesverband Hessen
  • Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, Kreisvereinigung Frankfurt
  • Jens Bertrams (Marburg, Journalist, Landessprecher der Humanistischen Union Hessen)
  • Norbert Birkwald (Mörfelden-Walldorf)
  • Uli Breuer (Frankfurt)
  • Jürgen Erkmann (Frankfurt, Mitglied des Ortsbeirats 2, Piratenpartei, Datenschutzberater)
  • Andreas Galatis (Frankfurt)
  • Christian Hachmann (Kassel)
  • Franz-Josef Hanke (Journalist, Vorsitzender der Humanistischen Union Marburg, von 1982 bis 1983 Landesvorsitzender der Grünen Hessen)
  • Friedrich Haug (Darmstadt, Bündnis „Demokratie statt Überwachung“)
  • Philipp Lengemann (Kaufungen)
  • Frank Lerche (Lahntal, Kreistagsabgeordneter der Piratenpartei im Landkreis Marburg-Biedenkopf)
  • Dipl.Ing. Volker Marx, (Frankfurt, kommunaler Mandatsträger)
  • Helga Röller (Frankfurt)
  • Jochen Schäfer (Marburg)
  • Roland Schäfer (Frankfurt, Fachkraft für Datenschutz)
  • Walter Schmidt (Frankfurt)
  • Alex Schnapper, (Frankfurt, Blogger und Netzaktivist, Mitglied im KV Frankfurt der Bündnis 90 / Die Grünen in Hessen)
  • Matthias Schulz (Cölbe, Mitglied im Vorstand der Humanistischen Union Marburg)
  • Axel Seiderer (Rüsselsheim)
  • Dr. Michael Weber (Marburg, Politischer Geschäftsführer, Piratenpartei Hessen)
  • Arthur Weger (Rüsselsheim)
  • Jutta Weißmann (Wiesbaden)

Unterstützende Organisationen und Einzelpersonen jeweils in alphabetischer Reihenfolge

Kontakt: dieDatenschützer Rhein Main (kontakt@ddrm.de) – Walter Schmidt (Tel.: 0152 2151 2453)

 

Foto: Annette Schaper-Herget
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