Man kommt an den Bildern der sogenannten Bauernproteste nicht vorbei. Der Bauernverband hat zu einer Demonstration in Berlin aufgerufen. Zwar wurden die Maßnahmen, die zunächst den Unmut ausgelöst haben, abgemildert, aber dennoch ist es den Landwirten ein Anliegen, Präsenz zu zeigen. Begleitet wird die Demonstration von Bildern, die die Unterwanderung dieser Proteste durch Rechtsextreme nahelegen, die einen Regierungsumsturz herbeisehnen. Unabhängig der Sachlage verlagert sich unsere Diskussion weg vom eigentlichen Problem in die Metaebene. Für die Demonstrationen ist das richtige Etikett wichtiger als die Problemlösung.
Wie ist die Lage
In Deutschland beginnt die Woche der Streiks – der Bauernverband hat zum Streik aufgerufen, die GDL, der Einzelhandel, Pflegekräfte. Kurz nach Jahresbeginn steigt das Fieberthermometer der Unzufriedenheit in Deutschland wieder an. Besonders diskutiert wird der Streik, zu dem zunächst der Bauernverband aufgerufen hat, dem sich allerlei Organisationen aus dem rechten und rechtsradikalen Spektrum angeschlossen haben. Und so finden sich nun bei der sehr umfangreichen Berichterstattung über den Treckertreck nach Berlin und die Blockade von Autobahnen zahlreiche Bilder, die belegen, dass die Mobilisierung auch von Rechtsradikalen zum Marsch auf Berlin genutzt wird. Entsprechend wird auch mittlerweile der „Rücktritt der Ampel“ gefordert.
Die Lage der Landwirtschaft in Deutschland
Seit mehr als 10 Jahren hat die Agrarpolitik (und auch die Rahmenbedingungen der Nahrungsmittelindustrie in Deutschland insgesamt) dazu beigetragen, dass wir am Ast sägen, auf dem wir sitzen. Unterstützt vom Bauernverband erleben wir ein Höfesterben. Die Nahrungsmittelpreise schwanken, und diesem Risiko können Höfe nur begegnen, indem sie wachsen, oder die Familien ihre Arbeitsstätten aufgeben und sich als Fachkräfte auf anderen Betrieben in abhängige Beschäftigung begeben. Die Erzeugerpreise können nicht weitergegeben werden, weil auf der Abnehmerseite das Preisdiktat immer größerer Molkereien, Fleischverarbeiter und Supermarktketten steht. Gleichzeitig nehmen die Anforderungen an Umweltschutz und Tierschutz zu. Hinzu kommt die ständige Bedrohung durch den billigen Import aus Ländern ohne diese Anforderungen.
Für Höfe besteht häufig ein wesentlicher Anteil des Einkommens aus Transferleistungen. Doch keiner möchte gerne, dass sein Hof oder sein Wohlstand nur durch die Privilegien bzw Subventionen besteht, oder durch Arbeitsbedingungen, die kein Arbeitsschutzgesetz kennen. Doch so verfahren wie die Situation ist, wie die Rahmenbedingungen gestrickt wurden, reagieren Landwirte sensibel auf jedes weitere Signal, das die Politik sendet. Sie warten auf eine Trendwende zu mehr Unterstützung, anstatt der empfundenen ständigen Maßregelungen und Zurückweisungen. Man fühlt sich grundsätzlich missverstanden und missachtet.
Parteien im Bundestag geben ihren Spin
Wie gehen die Regierungsparteien damit um? Betrachtet man das Ganze aus der Sicht derer, die in Deutschland die Handlungsmacht besitzen, so beobachtet man einen bestimmten Spin. Politiker reagieren zunächst unterschiedlich.
Die CSU erklärt, man stünde an der Seite der Bauern, Alexander Dobrindt unterstützt die Proteste der Landwirte. Angesichts dessen, dass diese die Agrarpolitik schon seit mehr als 10 Jahren für verfehlt halten und unter der CDU-CSU-Regierung über 100.000 Höfe gestorben sind, kann ich mir da ein Schmunzeln nicht verkneifen. Die CSU ist für ihre Fehleinschätzungen ja bekannt. Hier scheint es aber notwendig Solidarität zu bekunden in der Hoffnung, dass diese die Landwirte die letzten Dekaden vergessen machen kann.
Ebenfalls liest und sieht man Beiträge, die deutlich machen, dass dieser Protest von Rechtsextremen unterstützt wird. Puppen in Ampelfarben am Galgen, Landvolk-Flaggen, Symbole nachweislich rechtsradikaler Gruppierungen – es wirkt wie Vorboten eines Sturms auf das Capitol, und diese Bildsprache ist auch gewollt und übliches Mittel zur Mobilisierung von Extremisten.
Das Wirtschaftsministerium begegnet der Bedrohung und verbreitet einen Clip von Wirtschaftsminister Robert Habeck mit dem Text „Diese Republik ist der beste Staat, den Deutschland je hatte. Wir müssen für sie einstehen. Seien wir solidarisch, als Demokratinnen und Demokraten und in diesem Sinne patriotisch.“. Er erklärt darin auch, dass der Rechtsstaat keine Garantie sei, und als Gesellschaft dürften wir den Platz nicht den Verfassungsfeinden überlassen.
Die SPD unterstützt die Erzählweise der Unterwanderung und Instrumentalisierung und warnt vor „blauen Bauernfängern“.
Und Konstantin Kuhle setzt den Bauernprotest in den Zusammenhang mit dem Tag-X-Szenario der Rechtsextremisten. In Messengerdiensten würde mobilgemacht, angesichts von Krieg, Krise, Inflation und Verunsicherung durch mediales Dauerfeuer sei die bürgerliche Mitte in Deutschland empfänglich für diese Erzählungen.
Also halten wir fest: Wer wie und in welchem Ausmaß an den Bauernprotesten teilgenommen hat, das scheint vollkommen interpretationsoffen.
Etikett wichtiger als die Problemlösung
Lässt man diese Diskussion beiseite, wer nun wie die Proteste vorantreibt oder unterwandert, so zeigt sich eigentlich recht schnell, dass wir ein wichtiges und dringendes Problem in der Ernährungspolitik vor uns haben. Ich wäre überrascht, wenn wir als Gesellschaft uns in der Analyse nicht einig wären, woran das System krankt.
Damit die Misere abgewendet wird, ist es aber nun notwendig zu handeln.
Ich kenne keinen, der nicht gerne qualitativ hochwertige, regionale und/oder nachhaltige Produkte kauft. Sei es aus umweltpolitischen, gesundheitlichen oder regionalpatriotischen Gründen. Die meisten wären auch bereit, den fairen Preis dafür zu bezahlen.
Wenn sie könnten.
Vermutlich würde keine Gefahr durch Importe bestehen, wenn die Ware glaubhaft und ehrlich gekennzeichnet ist. Und vermutlich würden die meisten auch verstehen, dass der Einkauf von Gemüse oder Eiern bei Aldi nicht nachhaltig für unser Land ist. Eine Solidaritätskampagne kann zur Weiterbildung beitragen, die Notwendigkeit deutlich machen, und Abhängigkeit reduzieren. Es würde darauf hinauslaufen, dass uns als Menschen klargemacht wird, welche Macht wir besitzen. Dass wir als Konsumenten mitgestalten.
Wir würden feststellen, dass wir als Gesellschaft Einfluss haben. Und anschließend würden wir lernen, dass das nicht nur beim Konsum so ist, sondern dass das auch im politischen Raum so ist.
Der Weg zum Mitgestalten
Aber kommen wir noch einmal auf die Voraussetzung – nämlich dass wir als Menschen dazu in die Lage versetzt werden, frei entscheiden zu können. Diese Macht wird uns genommen, und das jedes Quartal umso mehr. Der Anteil am Haushaltseinkommen, den wir für Miete ausgeben, steigt beständig an. Der Anteil am Haushaltseinkommen, den wir für Lebensmittel ausgeben steigt, ohne dass wir qualitativ bessere Lebensmittel kaufen.
Die Möglichkeit, mündige Entscheidung zu treffen, mit unseren Entscheidungen die Struktur in unserem Land mit zu beeinflussen, sie wird uns genommen, solange nicht die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Und zwar dass Wohnraum günstiger wird, dass die Einkommen steigen, dass die Strukturen in den Städten wieder zu mehr kleinen Läden führen und nicht zu Discountern und Ketten.
Wenn wir auf diese Weise den Landwirten faire Preise bezahlen können, dann werden sie auch verkraften, planbar die Transferleistungen zurückzubauen. Dann treten wir als Gesellschaft ihnen mit Respekt gegenüber. So nehmen wir unsere Verantwortung war.
Fazit
Vor diesem Hintergrund verstehe ich, dass insbesondere seitens der Politiker in den Parlamenten viel Energie aufgewendet wird, darüber zu diskutieren, welches Etikett wir den Protesten aufkleben.
Denn wenn wir uns auf die Etikettierung konzentrieren, dann reden wir nicht darüber, warum wir als Mitglieder der Gesellschaft nicht wieder dazu befähigt werden, nicht die Macht bekommen, durch unsere Entscheidungen die Probleme selbst zu lösen.
Wo kämen wir denn da hin.