Immer mehr Menschen haben keine Lust auf Politiker und deswegen Frust über die Politik. Und hinterfragen immer mehr unsere Demokratie insgesamt. Wer als politisch interessierter Mensch draußen unterwegs ist und sich mit anderen unterhält, der kommt an dieser Beobachtung nicht vorbei. CDU und SPD, die neue Koalition in Hessen, steigern den Frust über Politiker. Sie geben alles, dass sich die Verbindung zwischen Regierenden und Regierten auflöst. Und dass so unsere Parlamente ihre Legitimation verlieren. Das ist gefährlich.
Das Eckpunktepapier von SPD und CDU: Kontroversen und Folgen
Anfang November veröffentlichten SPD und CDU ein Eckpunktepapier, das als Grundlage für die Verhandlungen zu einer gemeinsamen Regierungskoalition dienen soll. Auf den sechs Seiten werden viele Themen angeschnitten. Einiges eher oberflächlich, damit sich die Parteien den Spielraum nicht zu früh zu eng machen. Was jedoch konkret drin stand war, dass auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet werden soll. Der Satz ist dazu gemacht, dass sich mediale Öffentlichkeit findet und Empörungswellen losgetreten werden. Und wie erwartet werden dann die folgenden Passagen fast schon überlesen. Vor allem der letzte Satz: „Zudem stärken wir die Handlungsfähigkeit der Kommunen u.a. durch (…) die Prüfung der Einführung von Sperrklauseln“. Wenn man das liest, dann steigt unweigerlich die Wut.
Die sinkende Wahlbeteiligung: Ein Zeichen der politischen Resignation
Die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen in Hessen beträgt ohnehin nur zwischen 40% und 45% etwa. Es nutzen bereits jetzt weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten die Möglichkeit, auf die politischen Entscheidungen wenigstens indirekt Einfluss zu nehmen. Das bedeutet, dass mehr als die Hälfte der Menschen gar keinen Einfluss mehr auf die Entscheidungen über das Zusammenleben vor Ort haben möchten. So hoch ist der Frust über Politiker bereits.
Wer ist eigentlich dafür zuständig, wie das Verhältnis zwischen Bürgerinnen und Bürgern auf der einen Seite und Politikern auf der anderen Seite ist? Die Berechtigung über uns zu regieren ist nicht vom Himmel auf die Abgeordneten geregnet. Es ist unsere Entscheidung, ihnen diese Autorität zu geben. Sie haben darum geworben, und diejenigen, die sich zu Wahlen aufgemacht haben, sie haben dem einen oder anderen gegenüber erklärt, sich von ihr oder ihm regieren zu lassen. Es ist in der Theorie ein Verhältnis auf Augenhöhe.
In der Realität sieht es anders aus. Da arbeitet Macht beständig daran, sich selber zu beschützen. Sich selbst zu stärken und gegen diejenigen zu wehren, die die Macht der Politiker gefährden. Einen Wall aufzubauen gegen die Tatsache, beim nächsten Mal nicht mehr gewählt zu werden und nicht mehr das Privileg zu genießen, über viele regieren zu können.
Sperrklauseln und die Einschränkung demokratischer Vielfalt
Sperrklauseln und Prozenthürden sind ein Weg, wie regelmäßig in Parlamenten die Vielfalt der Demokratie reduziert wird. Mit Sperrklauseln wird verhindert, dass neue Ideen in die Parlamente getragen werden. Insbesondere bei 5%-Hürden landen regelmäßig nur diejenigen Parteien in den Parlamenten, die durch Bewahren des Bisherigen auffallen, oder die aus Hasenfüßigkeit jede Art von Innovation vermeiden. Neue Gedanken, neue Ideen, die sind da Fehlanzeige. Wenn sich gleichzeitig die Gesellschaft ändert, in Struktur, Werten, Einstellungen, dann kommt es zu einer immer größeren Differenz zwischen dem, wie Gesellschaft in Parlamenten abgebildet ist, und dem, wie die Gesellschaft lebt, denkt und fühlt.
Die SPD und ihre Widersprüche
Anfang November rief die SPD noch auf: „Für das Funktionieren unserer parlamentarischen Demokratie und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, ist die politische Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern von elementarer Bedeutung.“. Oder fiel auch auf mit „Wenn wir unsere offene Gesellschaft erhalten wollen, braucht es uns alle.“.
Spätestens seit dem Eckpunktepapier ist dann klar, dass sich dies nur auf diejenigen Bürgerinnen und Bürger zu beziehen scheint, die Mitglied der SPD sind. Oder einer anderen Partei, die seit Dekaden in den Parlamenten sitzt und dazu beigetragen hat, dass unser Bildungssystem immer weniger dazu in der Lage ist, die Menschen zu mündigen Bürgern auszubilden. Dass immer mehr Menschen auf eine freie bezahlbare Wohnung warten. Oder auf Psychotherapien und Arzttermine. Oder auf einen Job, der ihnen erlaubt, als Familie auf sicheren Beinen zu stehen, ohne Existenzangst bei Inflation. Und der Frust über Politiker steigt weiter.
Die Sperrklausel bei Wahlen
Bei der Bundestagswahl gibt es eine 5%-Sperrklausel. Bei Landtagswahlen müssen Parteien mehr als 5% erreichen, um sich in politische Gestaltung einbringen zu können. Im Europaparlament gab es bisher keine Sperrklausel, aber die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP arbeiten daran, dass diese für die Wahlen nach 2024 beschlossen wird. Übrigens ein Parlament, das deutlich macht, wie konstruktiv man mit einer Vielzahl von Parteien regieren kann.
Der Aufruf zur Erneuerung der politischen Kultur
Die kommunalen Parlamente waren immer noch die Orte, die die Vielfalt in den Gemeinden am besten abgebildet haben. Ortsbeiräte haben aufgrund der geringen Zahl an Sitzen quasi eine „natürliche“ Sperrklausel. Die künftige Regierung in Hessen macht also sehr deutlich, dass sie die demokratische Vielfalt bis ins letzte Parlament auslöschen möchte. Ungeachtet der Frage, ob das verfassungswidrig ist sendet das ein klares Zeichen, wie die Regierenden auf uns schauen.
Was erwarten diese Parteien, wie die Menschen darauf reagieren? Sie werden nicht auf die Straße gehen um zu demonstrieren. Denn sie haben bereits resigniert. Die Menschen werden nicht mehr protestieren, für ihre demokratischen Rechte kämpfen. Sie nehmen diese klare Botschaft zur Kenntnis und verachten immer mehr die Abgeordneten. Werden die irgendwann aufwachen und anfangen, wieder auf die Menschen zuzugehen? Politik wieder mit den Menschen zu machen? Wenn sie das nicht tun, dann wird das erst dann passieren, wenn die Bürgerinnen und Bürger ihre Mistgabeln rausgeholt haben.
Weg vom Frust über Politiker
Es muss also genau das Gegenteil passieren. Parlamente müssen so offen und zugänglich wie möglich sein. Sie müssen den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, dass ihr Interesse an Politik gewünscht ist. Dass es gewollt ist, dass Menschen sich in Entscheidungen einbringen. Dass wir die Parlamente wieder zu unseren Parlamenten machen. Dass Menschen sich repräsentiert fühlen. Denn nur das wird dazu führen, dass wir uns an die gemeinsam ausgehandelten Regeln halten.
Aber so wie ich CDU und SPD kenne warte ich schon auf die Nachricht, dass man einen Wassergraben mit Zugbrücke um den Landtag bauen möchte. Damit wir Bürgerinnen und Bürger nicht stören.